Peter M. Haas
Das Land der Kelten – wo liegt das überhaupt?
Viele, viele Jahre ist es her, dass ich selbst zum erstenmal vom Charme bretonischer Musik bezaubert war. Sie wirkte altertümlich auf mich, ein bisschen wie Renaissancemusik, – und auch ein bisschen wie irische Musik, was mich sehr verwunderte. Frankreich und England – so dachte ich damals – waren doch jahrhundertelang verfeindete Nachbarn: wie konnte es sein, dass man diesseits und jenseits des Ärmelkanals so verwandte Musik machte?
Inzwischen ist der Begriff „celtic“ populär geworden, der darauf hinweist, dass es da ein gemeinsames kulturelles Erbe gibt, auf das Menschen und Musiker in einer ganzen Reihe von Regionen in Westeuropa sich beziehen. Allerdings ist „celtic“ eine recht zwielichtige Bezeichnung, oft benutzt als Verkaufslabel, mit dem auch allerhand Kitsch und Ramsch ausgezeichnet wird.
Im Tätowierstudio kann man mit dem Begriff „celtic tatoo“ etwas anfangen. Stefan vom Studio CNX in Prenzlauer Berg zeigte mir die verschlungenen Knoten, Kleeblätter und Lebensbäume, die als „keltisch“ gelten.
Wo kommt aber die Überlieferung her, die man „celtic“ nennt? Es scheint etwas Magisches um dieses Erbe zu sein. Schon lange wollte ich mehr erfahren über das Volk, dem solche Musik entstammt, und das Land, in dem dieses Volk ursprünglich lebte. Wann blühte die historische Kultur der Kelten, und wo befand sich das Keltenland? Druiden und Barden, Krieger und Bauern, –was ist von der Kultur der Kelten überliefert?
Wer sich so auf die Suche nach Informationen macht, erhält gleich zu Beginn eine kalte Dusche.
Genau genommen, so sagen heute die Völkerkundler, kann man über die historische, keltische Kultur fast nichts mit Sicherheit aussagen. Hat es sie überhaupt gegeben? Haben sie sich selbst überhaupt so genannt?
Was wirklich sicher ist: Dass es seit 800 v.u.Z. eine weit über Europa verbreitete Hochkultur der Eisenzeit gab. Einige Völker dieser Kultur wurden von ihren griechischen Nachbarn „Celtoi“ genannt, aber es steht nicht fest, ob sich die zugehörigen Völker und Stämme selbst als „Kelten“ bezeichneten, ja ob sie sich als gemeinsame Kultur verstanden, oder ob es lediglich verschiedene Kulturbereiche mit gemeinsamen Zügen waren. Immerhin hat es eine gemeinsame Sprache gegeben, das Keltische, dessen Ursprünge schon um 1000 v.u.Z. nachgewiesen werden konnten.
Dass es so wenig gesichertes Wissen über diese Kultur gibt, hat einen einfachen Grund: Es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen. Ein Grundzug der keltischen Kultur war es, dass das gesamte kulturelle Wissen niemals schriftlich festgehalten wurde. Das Wissen war im Besitz der Druiden, der Kaste weiser Priester, und wurde nur hier von Lehrern zu Schülern weitergegeben. Der römische Feldherr Julius Cäsar berichtet: „Es ist nämlich streng verboten, ihre Lehre aufzuschreiben, während sie in fast allen übrigen Dingen, im öffentlichen und privaten Verkehr, die griechische Schrift verwenden. Dies scheinen sie mir aus zwei Gründen so zu halten: Sie wollen ihre Lehre nicht in der Masse verbreitet sehen und zudem verhindern, dass ihre Zöglinge im Vertrauen auf die Schrift zu wenig üben.“ [1]
So ist man auf die Überlieferungen der Nachbarvölker angewiesen. Was die über die „barbarischen“ Stämme nördlich der Alpen in ihre Geschichtsbücher schrieben, war freilich nicht immer objektiv – oft durchsetzt von Gerüchten und gefärbt von Kriegspropaganda.
Einige Grundzüge dieser Hochkultur zeichnen sich immerhin aus den Zeitzeugnissen ab: Im Gegensatz zur Kultur der Römer und der Griechen hatte die Frau eine viel stärkere rechtliche Position. Man vermutet, dass es auch Anführerinnen und Druidinnen gab. Die Führungsschicht der Druiden war nicht als Klasse abgeschottet, es stand jedem frei, die jahre- oder jahrzehntelange Ausbildung zum Druiden auf sich zu nehmen.
Die Berichte der zeitgenössischen Autoren stimmen darin überein, dass die Kelten „die Natur über alles liebten. Sie verehrten sie in all ihren Erscheinungsformen als göttlich. (…) Sie konnten listig und mutig bis zur Tollkühnheit sein, aber in der Politik wie auf dem Schlachtfeld ermangelte es ihnen letztlich am strategisch-taktischen Kalkül. Am gefürchtetsten waren sie, wenn sie sich erzürnt hatten, dann stürmten sie einfach drauflos, ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben“, so fasst der Autor B. Wallrath die historischen Beschreibungen zusammen. [2] Kennen wir das nicht irgendwoher? – Na klar, Goscinny und Uderzo haben die keltische Geschichte gründlich recherchiert, als sie ihre gallisch-keltischen Helden Asterix und Obelix – vor inzwischen über 50 Jahren – schufen.
Urheberrechts-Hinweis: Alle Abenteuer des Asterix (Band 1-36) sind in deutscher Sprache bei Egmont Ehapa Media und der Egmont Comic Collection erschienen. |
In der Realität gab es allerdings kein kleines gallisches Dorf in der Bretagne, das auf Dauer der römischen Eroberung standhalten konnte. Im Jahr 52 v.u.Z., nach der letzten entscheidenden Niederlage der Kelten unter ihrem Anführer Vercingetorix, war ganz Gallien unter römischer Herrschaft. Ganz Gallien? Ja, ganz Gallien. In den folgenden beiden Jahrhunderten weiteten die Römer auch ihre Herrschaft auf den britischen Inseln aus. Von da an konnte die keltische Kultur nur unter fremder Herrschaft fortleben.
Eine wichtige Quelle zur Spurensuche sind die keltischen Mythen und Legenden. Nachdem sie stets nur mündlich weitergegeben worden waren, begannen im 6. Jahrhundert n.u.Z. christliche Mönche mit der Niederschrift. Es scheint, dass zu dieser Zeit manche Druiden ihre Arbeit in der christlichen Kirche weiterführten, also die Kirche gewissermaßen unterwanderten.
Neuen Auftrieb bekam die Rückschau auf das keltische Erbe im 18. Jahrhundert. Der Schriftsteller MacPherson sammelte die überlieferten Mythen und Sagen und brachte sie in einer „Ossian“ betitelten Sammlung heraus. Sie erschien 1773 und wurde zum Vorbild der deutschen Romantiker und der Arbeit, wie sie die Brüder Grimm betrieben.
Schon der griechische Reiseschriftsteller Poseidonios hatte um 80 v.u.Z. ein Idealbild der Keltenpriester entworfen als „letzte Überlebende eines goldenen Zeitalters – einer längst vergangenen Epoche, in der weise Männer regierten und den Menschen die Grundlagen des Wissens beibrachten. Die von Poseidonios beeinflussten Schreiber schildern die Druiden deshalb oft als edle Naturphilosophen (…),als Waldkundige, die in Eichenbäume klettern, um mit einer goldenen Sichel die als Allheilmittel geltenden Misteln von den Ästen zu schneiden.“ [3]
Dieses Keltenbild beherrschte Literatur und Malerei der Romantik und des Jugendstils. Für viele Esoteriker steht das „Keltische“ für eine Ur-Verbundenheit von Mensch und Natur, eine Verbundenheit von realer Welt und der mystisch-spirituellen „Anderwelt“.
Aber es gab und gibt bis heute auch die politische Dimension des Keltentums: Erbitterte Kämpfe um Unabhängigkeit gab es jahrhundertelang nicht nur in Schottland und Irland, sondern auch in der Bretagne. Die 68er-Bewegung brachte einen neuen Focus auf Unabhängigkeit, Regionalität und auch auf keltisches Erbe und keltische Zusammengehörigkeit.
Schon 1971 hatte im bretonischen Lorient ein erstes Festival der Dudelsackspieler stattgefunden. Seit 1979 hat sich dieses jährliche Musikfest der interkeltischen Bewegung verschrieben und nennt sich „Festival Interceltique“. Es ist das größte und bekannteste der Festivals, die keltische Musik präsentieren. Und keltisch – das heißt nicht nur Musik und Musiker von den Britischen Inseln (Schottland, Wales, Cornwall, Isle of Man, Irland), sondern auch aus der Bretagne und dem Norden von Spanien (Galizien, Kantabrien und Asturien).
Der Berliner Concertina-Spieler Güno v. Leyen nahm in den 1980erjahren am Festival in Lorient teil. „Es war faszinierend“, erzählte er mir, „unsere irischen Musiker trafen dort auf Galizier und Bretonen, und auf Anhieb sprachen sie miteinander, in der gleichen Sprache.“
Die bretonische Sprache, das Breizh, war in den vorausgegangenen Jahrhunderten an Frankreichs Schulen verboten. Jetzt kann man sie wieder lernen, und seit 2014 ist auch im Internet die Top-level-domain „.bzh“ als Regionen-Kennzeichen für die Bretagne offiziell zugelassen. Das Festival in Lorient findet in diesem Jahr zum 46. mal statt. Die website ist natürlich nicht als „.fr“ eingetragen, sondern heißt bretonisch-selbstbewusst www.festival-interceltique.bzh . Der Interkeltismus hat sich übrigens noch ein wenig ausgeweitet. Versprengte Volksgruppen keltischen Ursprungs gibt es auch in Australien. Ihnen ist das diesjährige Festival gewidmet: „Année de l’Australie – Kelten unter dem Kreuz des Südens“ ist das diesjährige Motto.
[1] Julius Caesar, de bello Gallico
[2] Wallrath/Edel: Götter, Bauern und Druiden, S. 10, Ansata Verlag 2000
[3] GEO Epoche, „Die Kelten“, S. 109, Hamburg 2011
Manuskript © 2016 Peter M. Haas
[Artikel veröffentlicht in akkordeon_magazin #50, Juni 2016]