Den folgenden Artikel schrieb der Musiker Peter M. Haas
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 20.3.2022



Ein kleiner Überblick zur Geschichte des Akkordeons

Seit wann gibt es das Akkordeon? Wer war der Erfinder? Wie sahen die ersten Akkordeons überhaupt aus? Wann wurde das Tasten-Akkordeon erfunden? Und seit wann gibt es das Bassfeld mit Bass- und Akkordknöpfen, wie wir es heute benutzen? 

Fragen über Fragen. Die meisten Akkordeonfans wissen die Antworten nicht. Wer ein bisschen gräbt, findet einige Darstellungen der Akkordeongeschichte. Leider sind diese sehr trocken zu lesen, weil das Bildmaterial fehlt. Für unseren Geschichtsüberblick half mir der Berliner Sammler Dieter Plinke: Aus seiner Privatsammlung stammen die meisten Instrumente, die wir zur Illustration fotografieren konnten.






Frühes Akkordeon um1840 mit Ventilen für die Melodietöne
Foto: Peter M. Haas • Instrument aus der Privatsammlung D. Plinke

Inhaltsübersicht

1. Wann wurde das Akkordeon erfunden?
2. Wer hat das Akkordeon erfunden?
3. Wie sahen die frühen Akkordeons aus?
4. Seit wann gibt es Akkordeons mit allen Halbtönen?
5. Seit wann gibt es den modernen Standardbass?
6. Seit wann gibt es Akkordeons mit Pianotastatur?
7. 1920er-Jahre: Der Siegeszug des Piano-Akkordeons
8. 1960er-Jahre: Neue Designstudien
9. Aktuelle Trends im Akkordeondesign

1. Wann wurde das Akkordeon erfunden?

1829 wurde das erste Instrument namens „Accordion“ in Wien zum Patent angemeldet. Diesen Zeitpunkt setzen wir im Allgemeinen als Datum für die Erfindung des Akkordeons an. Die originale Patentschrift vermeldet:

Patentschrift für das Accordion
Original-Patentschrift für das „accordion“ 1829
Quelle: www.zoraweb.com

Der Orgel- und Claviermacher Cyrill Demian und seine Söhne Carl und Guido, in Wien erhalten den 23. May 1829 ein 2jähriges Privilig auf die Erfindung eines neuen Instrumentes, A c c o r d i o n genannt, welches die Form eines kleinen Kästchens hat, worin Federn auf Stahlplatten samt einem Blasebalg angebracht sind, und zwar dergestalt, daß es bequem eingesteckt werden kann. Es können auf demselben Arien, Märsche &c., selbst von Nichtkennern der Musik, nach kurzer Übung, und die lieblichsten 3-, 4-, 5- und mehrtönigen Accorde nach der Einrichtung des Instrumentes gespielt werden.“

Mehr Info dazu auf wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Cyrill_Demian

2. Wer hat das Akkordeon erfunden?

Das Patent von 1829

Als Erfinder des Akkordeons gilt der Instrumentenbauer Cyrill Demian, der gemeinsam mit seinen Söhnen 1829 sein Accordion patentieren ließ.

Portrait Cyrill Demian
Foto: zoraweb.com

Der Name Accordion geht zwar auf Demian zurück, aber das Instrument beruht auf weiteren, wichtigen Vorarbeiten, sodass in der Fachliteratur eine Zeit lang erbitterter Streit geführt wurde, wer denn der „wirkliche“ Erfinder des Akkordeons war. Wie meist im Instrumentenbau, wirkten die Entdeckungen verschiedener Erfinder zusammen und bauten aufeinander auf.






Wichtige Vorläufer:

Anton Haeckl baute seit 1818 die Physharmonika als Tasteninstrument, das erstmals einen Luftbalg durchschlagende Stimmzungen verwendete, wie sie seither auch im Akkordeonbau gebraucht werden. Die große Version war ein Standmodell und damit ein Vorläufer des Harmoniums; die kleine Version hat bereits Züge des Akkordeons.

Mehr Info auf wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Physharmonika

Vermutlich um 1822 baute der Klavierstimmer Christian F. L. Buschmann mit seiner Handäoline ein Stimmzungen-Instrument mit Blasebalg und damit einen wichtigen Vorläufer des Akkordeons. Buschmann ließ jedoch seine zahlreichen Erfindungen nicht selbst patentieren. Auch ist kein Exemplar seiner Arbeiten erhalten.

Mehr Info auf wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Friedrich_Ludwig_Buschmann


teaser für Anfänger Sparpaket von Peter M Haas

3. Wie sahen die frühen Akkordeons aus?

Das Instrument wurde auf den Arm gelegt. Die Klappen für die Melodietöne spielte man mit der rechten Hand, die Linke Hand bediente den Balg und die Spielhebel für die Begleitakkorde. Anfangs gab es nur die beiden Akkorde „Grundakkord“ und „Dominante“, die gemeinsam mit den zugehörigen Melodietönen erklangen.

Frühes Akkordeon um1840 mit Spielhebeln für die Melodietöne
Foto: Peter M. Haas • Instrument aus der Privatsammlung D. Plinke





Bitterböse Karikatur

Dass noch um 1860 häufig auf solchen „Arm-Harmonikas“ gespielt wurde, zeigt die Karikatur von H. Daumier, die im Dezember 1865 in einem Pariser Satire-Magazin veröffentlicht wurde:

Die Übersetzung des Untertitels: „Noch hat man nicht das Recht, die Leute zu töten, die dieses Instrument spielen; aber man muss hoffen, dass das kommen wird.“




Lärmende Musikmaschine

Die bissige Karikatur Daumiers trifft einen wunden Punkt. Das Akkordeon war in die traditionelle Musikszene eingebrochen als aufdringlicher Fremdling. Noch niemals vorher wurde Musik mit Hilfe einer industriell hergestellten „Maschine“ gespielt. Ein einzelner Spieler konnte dank der Begleitmechanik Musik spielen, die vorher drei Musiker benötigte; und durch die fertig verdrahteten Akkorde brauchten die Spieler nicht die geringste Ahnung von Musiklehre zu haben. Damit hatte das Akkordeon die Funktion eines Jobkillers, der geizigen Tanzstubenwirten sicher sehr gelegen kam: Man konnte das Trio entlassen und stattdessen einen einzigen Ziehharmonikaspieler  einstellen. Dieser grobe Einbruch in das traditionelle Musikleben hing dem Akkordeon noch auf lange Zeit negativ nach.






4. Seit wann gibt es Akkordeons mit allen Halbtönen?

Alle Instrumente, die bis etwa 1860 gebaut wurden, waren diatonisch, d.h. sie waren an eine jeweilige Tonart/Tonleiter gebunden. Außerdem waren sie wechseltönig: Verschiedene Töne erklingen im Zudruck und im Aufzug. Anfangs hatten sie weder Tasten noch Knöpfe, sondern Spielhebelchen für die Melodietöne. Die Illustration zeigt ein Modell aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Solche Instrumente waren in Deutschland auch noch in den 1920er-Jahren gebräuchlich. Ich erinnere mich, auf einer historischen Illustration zum Film „Berlin – Sinfonie der Großstadt“ (1927) ein ähnliches Akkordeon gesehen zu haben.
Diatonische, wechseltönige (Knopf-)Harmonikas werden bis heute gebaut und sind vor allem in der Volksmusik und in der Volkstanz-Szene beliebt.

alte deutsche harmonika
Harmonika deutscher Bauart um 1850: Weder Tasten noch Knöpfe, 
sondern kleine Spielhebel auf beiden Seiten





Wiener Mechanik

Auf der Industrieausstellung in München 1854 präsentierte der Wiener Fabrikant Matthäus Bauer ein Instrument, das „mit halben Tönen, versehen mit dreireihiger Maschine“  ausgestattet war. Dieses Instrument hatte also erstmals ein chromatisches Grifffeld mit drei Knopfreihen, die der heutigen Bb-Grifflage des chromatischen Knopfakkordeons entspricht.

Harmonika Wiener Bauart
Die Instrumente der Wiener Bauart hatten als erste ein gleichtöniges, chromatisches Grifffeld im Diskant. Instrument aus dem Harmonika-Museum Claus Brusch





Schrammelmusik

Die erfolgreichen Wiener Unterhaltungsmusiker Johann und Josef Schrammel nahmen 1890 dieses Instrument in ihr Ensemble auf, nachdem der langjährige Klarinettist der Gruppe verstorben war. Ein erstes Kompliment für das Akkordeon – denn dies war ja der Beweis, dass ein Akkordeonspieler mit der Klarinette und ihrem tragenden, ausdrucksvollen Ton mithalten konnte. Dass das Basswerk dieser Instrumente nach dem Wiener System noch sehr primitiv war, störte überhaupt nicht, da in der Quartettbesetzung nur die Melodieseite des Akkordeons gebraucht wurde. Seither ist die Bezeichnung „Schrammelharmonika“ für diese Wiener Instrumente geläufig, die noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts gebaut wurden.







5. Seit wann gibt es den modernen Standardbass?

Unsere moderne Bassmechanik mit Bass- und Akkordknöpfen (der „Standardbass“) wird auch als → Stradella-Bass bezeichnet. Wann dieser Bass erstmals gebaut wurde, ist nicht belegt.
Aus der Zeit um 1900 sind aber bereits zahllose chromatische Knopfakkordeons erhalten, die auf der linken Seite diesen modernen Standardbass haben. 

Viele der Instrumente um 1900 sind bereits als 120-bässige Virtuoseninstrumente ausgelegt und in sehr prächtiger Ausstattung hergestellt.

historisches-Akkordeon-Knopfakkordeon-um-1900
Um 1900: Die halbnackten Syrinx-Spielerinnen verkünden eindeutig den Jugendstil!
Ein prächtiges, 120bässiges Instrument der Traditionsfirma „Kahnt & Uhlmann“
Foto: Peter M. Haas • Instrument aus der Privatsammlung D. Plinke





6. Seit wann gibt es Akkordeons mit Pianotastatur?

Die heute verbreiteten Piano-Akkordeons wurden seit etwa 1910 angeboten und erlangten bald sehr große Popularität.

historisches-Akkordeon-Damenakkordeon-um-1925
Eines der frühen Tastenakkordeons, von Italienern in USA gefertigt.
Das Verdeck schmückt sich mit Hinweisen auf die 1914 gewonnene Medaille.
Foto: Peter M. Haas • Instrument aus der Privatsammlung D. Plinke

Frühe Vorläufer des modernen Piano-Akkordeons

Auch hier hatte es Vorläufer gegeben.
Der Wiener Harmonikamacher Matthäus Bauer (der auch das erste dreireihige chromatische Instrument vorstellte) fertigte um 1854 ein Harmonikainstrument mit Klaviertasten, offenbar blieb aber kein Exemplar seines Instrumentes erhalten.

Um 1860 wurden in Paris bereits verschiedene Handharmonikas mit Tasten hergestellt, so die Flutina von Busson und die Harmoniflute von Leon Marix. Sie erlangten kurzzeitige Popularität, konnten sich aber nicht auf Dauer behaupten.

Info darüber auf der website des Museo de la Musica in Urueña, Spanien https://funjdiaz.net/museo/ficha.php?id=148

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Harmoniflute um 1860
Foto: Peter M. Haas • Instrument aus der Privatsammlung D. Plinke


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7. 1920er-Jahre: Der Siegeszug des Piano-Akkordeons

In Deutschland war es die Firma HOHNER, die vielfältige und erfolgreiche Anstrengungen unternahm, dem Akkordeon ein neues, seriöses Image zu verleihen.
Heranbildung von Akkordeonlehrern, die Gründung von Akkordeonorchestern und die Beauftragung von Komponisten zur Schaffung von Akkordeonliteratur halfen dabei mit, dass das Akkordeon in den neuen kleinbürgerlichen Schichten populär wurde. 

Jugendlicher Chic

Viele Schülerinstrumente aus den 1920er- und 1930er-Jahren gefallen in fröhlichem Art-Deko-Design, etwa die Hohner Student aus dieser Zeit.

HOHNER Student
Ideal für Wandervögel: Die historische HOHNER Student 1 schmückt sich mit rustikalen Art-Deco-Motiven.
Foto: Peter M. Haas, Instrument aus der Privatsammlung D. Plinke





Das Highlight: prächtige Bühneninstrumente

Für die Pianisten von Show-Orchestern gab es prachtvoll ausgestattete Bühneninstrumente. Verschwenderische Ausstattung mit Intarsien und Strass; und die Krönung vieler Instrumenten-Designs: die geschwungene Tastatur!

HOHNER Bühneninstrument - 1
Der Clou bei den Bühneninstrumenten: die ergonomisch geschwungene Tastatur.
Foto: Peter M. Haas, Instrument aus der Privatsammlung D. Plinke





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Zierborten, Strass, Schildpatt-Effekte und geschwungene Tastatur: Auch die italienischen Hersteller sparten nicht an der Ausstattung ihrer Instrumente
Foto: Peter M. Haas • Instrument aus der Privatsammlung D. Plinke
Link zum Video Workshop Improvisation

8. 1960er-Jahre: Neue Designstudien

Akkordeonbau zweigeteilt

Der Akkordeonbau in Deutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg zweigeteilt: In der DDR wurden die zahlreichen Manufakturen zum VEB Klingenthaler Harmonikawerke zusammengelegt. Weltmeister hieß fortan die Marke aus Ostdeutschland. Im Westen gab die in Trossingen ansässige Firma Hohner den Ton an.

Akkordeonbau Ost und West
Ost gegen West: links Weltmeister, rechts Hohner, beide um 1960





Neue Designstudien

Im Laufe der späten 1950er- und der 1960er-Jahre setzte sich ein neues, modernes Akkordeondesign durch. Vor allem die Firma HOHNER setzte neue Maßstäbe, u. a. mit ihrer schwarz-gold glänzenden Lucia.

Akkordeon Hohner Lucia
Setzte neue Design-Standards: die elegante Hohner Lucia von 1961

Ein interessantes Design stellte auch die italienische Firma Settimio Soprani vor – dieses kleine Schülerinstrument mit 24 Bässen könnte vom Designer Colani entworfen worden sein.

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So rund kann ein Akkordeon sein … Die Alpina der italienischen Firma Settimio Soprani. Foto: Peter M. Haas, Instrument aus der Privatsammlung D. Plinke
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9. Aktuelle Trends im Akkordeondesign

Neues Design für Kids

Etwas Neues hat die schwäbische Firma HOHNER ausprobiert: Das neue, einchörige Akkordeon „XS“ für kleine Kinder besteht fast ausschließlich aus Plastik. Die Tastatur ist auf verblüffende Art auf die Seitenfront verlegt. Auf jeden Fall ein Hingucker! 

Hohner XS

Zurück zum schlichten Design

Nach den spannenden Design-Experimenten früherer Jahrzehnte sind die Hersteller überwiegend zur klassisch schlichten Form zurückgekehrt. 

Schlichtes Schwarz bei den Cantonelli-Instrumenten:
Das Hamburger Musikhaus Brusch stellt sie in Zusammenarbeit mit italienischen Zulieferern her. 

Ein Trend, den es bei Konzertinstrumenten früher selten gab: Mehrere Hersteller geben ihren Instrumenten ein Naturholz-Design, z. B. die italienische Firma Brandoni. 

Bildquelle: Werksfoto

Damit ist unsere kleine Akkordeon-Zeitreise beendet.
Ich hoffe, Ihr fandet sie informativ und unterhaltsam!






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Unterschrift Peter M. Haas





Diesen Artikel schrieb der Musiker Peter M. Haas

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