Viele sagen oder denken: „Improvisation ist eine hohe Kunst. Nur dann kann man improvisieren, wenn man sehr hohe Theoriekenntnis besitzt.“ Das ist zum Glück böse übertrieben.
Kein Zweifel – jeder muss lange arbeiten, um sicher und beeindruckend souverän zu improvisieren. Aber um charmant drauflos zu spielen, braucht es eigentlich nur die Lust darauf – sowie ein bisschen Mut, Hingabe und Geduld. Dann werden ein paar Tipps reichen, damit du starten kannst, in Bewegung zu kommen und Spaß damit zu haben.
Worum es in diesem Workshop geht
Dieser Workshop funktioniert (fast) völlig ohne Noten. Du lernst einen Basis-Groove kennen, und du wirst vielfältige Anregungen bekommen, auf einem einfachen Tonvorrat mit der rechten Hand zu improvisieren.
Das Thema ist absichtlich einfach gehalten, damit auch Anfänger schon den Beginn probieren können. Im Verlauf der einzelnen Schritte gibt es auch zahlreiche Anregungen für fortgeschrittene Spieler.
Dies sind die Schritte des Online Workshops:
▷ Schritt 1: Lerne Groove und Melodie kennen (7 Videos)
▷ Schritt 2: Lerne den Tonvorrat besser kennen (6 Videos)▷ Schritt 3: Spiele mit vorgezogenen Akzenten (6 Videos)
▷ Schritt 4: Erweitere den Griffbereich (7 Videos)
▷ Schritt 5: Die dirty tricks der Bluesmusiker (3 Videos)
▷ Schritt 6: Jenseits der Fünftonleiter (3 Videos)
Lerne den Groove und die Melodie kennen
In Schritt 1 zeige ich dir – ganz ohne Noten – ein einfaches Thema und einen einfachen Groove. Anschließend lernst du einen Tonvorrat kennen, der in Blues, in der Pop- und Rockmusik besonders gerne für Improvisationen und Läufe benutzt wird.
1.1 | Begleitung für die linke Hand
Hier zeige ich eine Begleitung ohne Akkordwechsel – ganz einfach in d-Moll.
Fortgeschrittene können die Begleitung ausbauen und variieren. Wenn du aber noch wenig Erfahrung hast, drauflos zu spielen, solltest du im Anfang die ganz einfache Form bevorzugen, damit du nicht mit deinen Einfällen der rechten Hand ins Stolpern kommst…!
1.2 | Eine einfache Melodie für den Autumn Groove
Eine ganz einfache Melodie leitet unser Stück ein. Hier zeige ich sie dir auf den Tasten.
Handposition für das ganze Thema: Setze den Daumen auf d, den Zeigefinger auf f, den Ringfinger auf a.
1.3 | Ein „Lick“ für die rechte Hand
Zum Groove der linken Hand gehört eine Melodie in der rechten Hand, die wir am Anfang des Stückes und immer wieder zwischendurch spielen können. Es ist ein typisches „Lick“ mit Doppelgriffen, wie es sehr oft im Blues und in der Rockmusik benutzt wird.
Greife den D-Moll-Akkord – Daumen auf d, dazu kommen die beiden Töne f – a (am besten mit 2 – 4 gegriffen).
Der erste Doppelgriff ist f – a, dann steigt die Tonfolge auf: g – h und schließlich a – c.
1.4 | Alles im Zusammenhang
Hier hörst du schon einmal Groove und Melodie im Zusammenhang.
1.5 | Notendarstellung
Vielleicht wird dem/der einen oder anderen jetzt doch etwas mulmig, so ganz ohne Noten. Hast du vielleicht Schwierigkeiten, das Doppelgriff-Lick der rechten Hand mit der Begleitung links zusammenzubringen?
Zur Sicherheit und für Notfälle führe ich dir hier die Notendarstellung vor:
1.6 | Eine kleine Zutat: Ein Vorschlag auf der „blue Note“
Musiker, die mit Blues vertraut sind, benutzen solche Vorschläge oft schon automatisch, ohne über den Effekt nachzudenken.
Meinen Schülern imponiert es immer sehr. Als Vorschlag vor dem Ton „a“ nehmen wir das „gis“, oder „schmieren“ sogar die ganze Folge „g -gis -a“, mit der wir uns in den Zielton „a“ gewissermaßen lustvoll hineinwühlen.
Das Video zeigt wie es geht.
Mehr über „blue notes“
Die „blauen Noten“, die so genannten „blue notes“ spielen eine zentrale Rolle im Blues und im Jazz.
Was ist eine blue note? Hier ist es der Ton gis beziehungsweise as, der diese Rolle hat. Je nach Kontext können auch andere Intervalle „blue“ sein. Es sind genau diejenigen Töne, die nach den Vorgaben der klassischen Hörgewohnheit eigentlich „falsch“ sind, aber im Blues und Jazz eine ganz besondere, stimmungsgeladene Spannung erzeugen.
1.7 | Bahn frei zur Improvisation!
Der Tonvorrat unserer Melodie ist gleichzeitig ein großartiger Tonvorrat, um darauf zu improvisieren. Zahllose Themen, Soli und Sololäufe aus Pop- und Rockmusik verwenden diese Tonleiter.
Hier gebe ich dir ein Beispiel, wie es gehen kann. Lasse dich inspirieren!
Ganz leicht – oder doch nicht so einfach?
Viele werden jetzt sagen: „Gut und schön, ich probiere ein bisschen drauflos, aber mir fällt nichts wirklich Interessantes ein.“
Na klar – es dauert länger, sich einen Vorrat an interessanten Spielfiguren und Motiven zurechtzulegen. Schraube also deine Erwartungen an die ersten Versuche nicht allzu hoch: das wird noch nicht CD-reif. Hauptsache du hast erst einmal Spaß.
Viele kleine Tricks können dir helfen, gute Ideen zu bekommen, wie du dich mit diesen Tönen und über diesem Groove bewegen kannst. Die folgenden Schritte geben dir Anregungen.
Lerne den Tonvorrat zur Improvisation genauer kennen
Hier schauen wir uns den Tonvorrat gründlicher an: wir bauen ihn Ton für Ton ein zweites mal auf. Anschließend werden wir den Groove durch einen kleinen Seitenteil ergänzen, die sogenannte Bridge. Zum Schluss bekommst du eine Play-Along-Begleitung, zu der du deine Improvisationen ausprobieren kannst.Ω
2.1 | „Hilfe, mir fällt nichts ein!“
Viele Neulinge, die den Tonvorrat noch nicht lange benutzen, sind ratlos: Sie spielen die Töne hektisch rauf und runter und wissen irgendwie nicht weiter. Die folgenden Beispiele und Hörübungen können dir auf die Sprünge helfen und wichtige Anregungen geben.
Das folgende Video lässt dich erst mit einem, dann mit zwei Tönen spielen. Zur Sicherheit nenne ich die Tonnamen. Noch besser ist es natürlich, wenn du die Motive in diesem und den folgenden Videos einfach nach Gehör aufnimmst, mitsingst und auf den Tasten spielst.
„Hilfe, mir fällt nichts ein!“ sagten auch die Teilnehmer eines „Creative Writing“ Kurses, die einen Aufsatz über ihre Stadt schreiben sollten. Der Autor H.M.Pirsig („Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“) verrät ein ganz einfaches Rezept: Schreibe nicht über die Stadt, nicht über die Straße, nicht über das Eckhaus – beginne mit der Beschreibung des einen Ziegelsteins an der Ecke des Eckhauses deiner Straße! Oft hilft so eine Beschränkung, dass der Groschen fällt und die Kreativität in Bewegung kommt.
2.2 | Drei Töne
Hier geht es weiter: was können wir mit drei Tönen anfangen?
Fortgeschrittene werden sicher schmunzeln, wie einfach die Motive sind, aber auch euch wird es Spaß machen, die Motive als Hörübung zu nehmen und sie nachzuspielen, ohne mir auf die Tasten (bzw. auf das Schriftband im Video) zu schauen.
Fingerposition: Daumen = d, Zeigefinger = f, Ringfinger = a.
2.3 | Weiter geht’s mit 4 und 5 Tönen!
Jetzt kommt ein vierter Ton dazu: 3. Finger = g.
Später im Video dann noch für den 5. Finger der Ton c.
Damit ist unsere Fünftonleiter wieder komplett aufgebaut.
Aufwärts, abwärts, Tonsprünge, kleine Motive hin- und herschieben wie ein Echo… jetzt sind die vielen Möglichkeiten richtig spannend.
2.4 | Beispiel für den Solo-Aufbau
Hier zeige ich dir in einem Beispiel, wie du deinen eigenen Improvisationspart aufbauen könntest. – Es gibt unendlich viele andere Möglichkeiten, einen „Chorus“ aufzubauen. Wenn du willst, lege dir probeweise eine Dramaturgie zurecht und „baue“ danach einen eigenen Aufbau!
„Chorus“ ist in der Jazztradition der Ausdruck für den Improvisationsteil, in dem ein Musiker (oder mehrere nacheinander) seine Improvisation spielen kann.
2.5 | Wir ergänzen den Ablauf: Eine kleine „Bridge“
„Bridge“ nennt man in der Jazzkomposition oft einen Seitenteil, der kurze (oder auch längere) Abwechslung bringt, bevor er auf das Hauptthema zurückführt. Eine solche Bridge nützt uns hier, um zwischen den Abschnitten unserer Impro neuen Schwung zu gewinnen.
2.6 | Eine Play-Along-Aufnahme für dich
Rechte Hand – linke Hand – wenn man neue Läufe ausprobieren will, ist das viel zu viel auf einmal. Selbst für fortgeschrittene Spieler ist die linke Hand und die Notwendigkeit zur Koordination eine lästige Ablenkung, wenn sie neue Läufe der rechten Hand ausprobieren wollen.
Eine großartige Lösung: zu zweit spielen!
Die zweitbeste Lösung: spiele zu einer Play-Along-Aufnahme, auf der die ganze Begleitband zu hören ist. Das folgende Video gibt dir ein solches „Play-Along“.
TIPP: Lasse die Begleitung der linken Hand weg, wenn du zur Playalong-Aufnahme spielst! Neue Läufe in der rechten Hand kannst du viel freier ausprobieren, wenn du nicht mit der Koordination beider Hände beschäftigt bist!
Vielleicht möchtest du die Play-Along-Datei auch offline haben.
Kein Problem. Lade sie hier als mp3-Datei herunter!
Die bisherigen Motive waren rhythmisch sehr simpel. Etwas Entscheidendes hat bisher gefehlt: Interessante Motive sind oft synkopiert. Wie das geht und was das bedeutet, erfährst du in Schritt 3.